Tschüss altes Leben – ich und meine NF2
September 2018… Mein Partner Henrik und ich sitzen im Wartezimmer der Neurochirurgie in Erfurt und warten auf unseren Termin bei Prof. Rosahl. Etwas aufgeregt bin ich, zumal mein rechtes AKN im MRT alles andere als „gut“ aussah. Also hörten wir uns an, wie Prof. Rosahl die Situation einschätzt. „AKN raus und Hirnstammimplantat rein… Es wird nicht einfach aber er gibt sein bestes“. Nichtsahnend wie die OP mein Leben verändern wird, bin ich mit guten Gefühl aus dem Gespräch gegangen. Meine Mama (ihr kennt sie alle = die Foto-Ines) war an dem Tag extra nach Erfurt gekommen und so trafen wir uns unten in der Cafeteria auf ein Eis und viele News im Gepäck.
Der OP Termin wurde auf den 8.10.2018 gelegt. Ich hatte vier Wochen Zeit meine engsten Verwandten und Bekannten einzuweihen. Alle machten sich Sorgen, aber ICH irgendwie nicht. Vielleicht auch etwas naiv, aber zumindest hatte ich keinerlei Angst. Meine Gedanken waren: OP, zwei Wochen KH, dann vielleicht noch ne Reha und dann kümmere ich mich weiter um meinen beruflichen Weg. Im Traum dachte ich nicht daran, dass alles ganz anders kommt.
In der Antragstellung für das Hirnstammimplantat an die Krankenkasse las ich die Beschreibung „monströs großes AKN“. Die Krankenkasse genehmigte das ABI problemlos innerhalb zwei Wochen -welch ein Glück, habe ich doch mitbekommen, dass das bei vielen anderen NF2 Patienten alles andere als einfach war.
Da wir in einen kleinen Vorort von München wohnen und für die OP nach Erfurt mussten, gab es einiges zu organisieren. Doch irgendwie kam immer wieder Gedanke: Das muss ich jetzt noch machen vor der OP, wer weiß, wie es danach ist. Also waren Henrik und ich bei einem Eishockeyspiel gewesen. Wir besuchten das Spiel EHC Red Bull München – Augsburger Panther, welches dann auch noch die Münchner für sich entschieden. Auch das Oktoberfest haben wir nochmal unbeschwert besucht, in Dirndl und Lederhosen haben wir gemeinsam mit unserer Tochter alle möglichen Fahrgeschäfte besucht und das Wiesn Flair genossen.
Dann war es soweit, wir fuhren alle drei nach Erfurt. Freitag waren die üblichen Voruntersuchungen, und auch mit Prof. Rosahl konnte ich nochmal alles bereden, und er hat mir nochmal alles erklärt. Übers Wochenende durfte ich dann mit Henrik und Vicky ins Hotel, und so hatten wir schöne zwei Tage. Sonntag abends ging für mich allein ins Krankenhaus. Beim Abschied kam kurz eine Träne, aber ich wollte stark sein, und so bin ich mit meinem Köfferchen los gelaufen. Auf Station angekommen bekam ich gleich mein Zimmer. Meine Zimmernachbarin war Anne V. (NF2 Betroffene) – welch schicksalhafter schöner Zufall. Ich kannte Anne nicht bzw. hatte sie vor einigen Jahren einmal gesehen bei einem NF2 Seminar. Bewappnet mit Schreibtafel und Handy haben wir tatsächlich bis Mitternacht „gequatscht“. Anne sollte nach der OP zu einer meiner größten Stützen werden, aber das wusste ich da noch nicht und sie auch nicht.
Von dem Tag der großen OP kann ich nichts mehr erzählen. Ein netter junger Mann mit einer äußerst seltsamen Frisur holte mich ab und brachte mich in den OP. Dann ging alles ganz schnell. Kurzen small talk mit dem Pfleger, der mich auf die OP vorbereitete und mit den Worten „Denken Sie an was schönes“ bin ich dann eingeschlafen. Ich hab an meine kleine Vicky und an meinen Henrik gedacht.
TSCHÜSS altes Leben !!!!
Nach 2 Nächten auf Intensivstation kam ich wieder auf die Normale Station. Brauchte Unterstützung bei allem, hatte Probleme beim schlucken, war nun auf dem rechten Ohr komplett ertaubt, was aber kaum Unterschied machte, denn mein Restgehör war eh nicht mehr der Rede wert. Nun lag ich da und wartete… aber auf was?
Nach 30 Minuten kam meine Mutti (ebenfalls NF2 Betroffene) zur Tür hinein, die genau an diesem Tag eine Nachsorgeuntersuchung in Erfurt hatte. Ich war überglücklich sie zu sehen. Sie hatte allerlei Informationen dabei, da sie vorher schon mit Prof. Rosahl gesprochen hatte. Nach und nach half sie mir mich einzurichten und mir alles griffbereit hinzustellen. Ich erzählte ihr von dem linken tauben Bein, Schmerzen, Müdigkeit. Als frisch operierte aber wohl recht normal. Das wichtigste – ich hab die OP überstanden und jetzt geht’s wieder bergauf. Ein Blick in den Spiegel allerdings ließ mich kurzzeitig erstarren. Ich wusste, dass eine Gesichtslähmung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Begleiterscheinung von der OP sein wird, aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Nun ja, mir fehlte die Kraft mir da Gedanken drüber zu machen, „das wird schon wieder“ dachte ich mir.
Nach drei Stunden verabschiedete meine Mutti und ich blieb allein zurück. Mein taubes Bein bereitete mir mehr Sorgen. Es fühlte sich an, als sei es eingeschlafen und wacht einfach nicht mehr auf. Dazu kam, dass es wie verrückt kribbelte, aber die Schmerzen waren da noch nicht sehr stark. Nach drei Tagen wurde ich befreit von allerlei Kabeln und Schläuchen und wurde wieder mobil. Zumindest bis ins Bad und zurück schaffte ich es mit meinen Beinen.
Das Wochenende stand vor der Tür und ich erwartete meine Zwei Liebsten. Ich werde wohl nie Henriks Gesichtsausdruck vergessen, als er mich sah. Er versicherte mir immer wieder, es ist alles o.k. – Naja das war es offensichtlich nicht, aber er ließ sich nichts anmerken. Für den Weg nach unten in die Cafeteria war ich zu schwach, also nahmen wir den Rollstuhl und Henrik brachte mich nach unten. Da wartete meine Vicky auf mich. Ich freute mich sooo sehr sie zu sehen, wollte ihr aber Zeit geben sich an mein neues Aussehen zu gewöhnen. Natürlich freute sie sich mich zu sehen, aber gleichzeitig habe ich in ihrem Gesicht gesehen, dass ihr das alles komisch vorkam. Es dauerte ca. 15 Minuten, dann kam sie von allein auf meinen Schoß geklettert und hat mich ganz fest umarmt, ganz genau betrachtet, was da in meinem Gesicht anders war, wo die vielen Pflaster herkamen und hat mich dann aber nicht mehr los gelassen.
Wir benötigten alle etwas Zeit uns an die neue Situation zu gewöhnen. Haben aber so viel Zeit an den Wocheneden zusammen verbracht wie eben möglich war.
In den Tagen darauf wurden die Schmerzen im Bein immer stärker, ich bekam Logopädie und Physiotherapie. Allerdings dachte ich nicht, dass ich mal mit 35 Jahren an einen Rollator angewiesen bin, denn auch mit meinem BMW war ich langsam wie ne Schnecke. Ich war aber schon immer ein geduldiger Mensch und so dauerte der Weg nach unten in den Kiosk knapp 45 Minuten. Angespornt hat mich die tägliche Dosis Knusperflocken aus dem Kiosk.
Die Anschlussheilbehandlung wurde letzten Endes gestrichen, weil ich mich zu schnell wieder erholte. Die Schmerzen im Bein allerdings blieben und wurden immer stärker und brachten mich teilweise um den Verstand. Besonders am Abend und in der Nacht, eine schlaflose Nacht folgte der nächsten und auch tagsüber. In der Zwischenzeit hatte Anne den Kontakt mit mir aufgenommen und somit war sie diejenige, die mir Mut zugesprochen hat, da sie ganz genau wusste wie es mir geht, denn sie hatte genau das gleiche erlebt. Wir waren im regen Austausch und ich konnte mich bei ihr so richtig ausheulen.
Nach drei Wochen wurde ich entlassen. Mein erster Weg war zum Sanitätshaus mir eine Fußheberschiene machen zu lassen und einen Rollator zu besorgen.
Zu Hause wartete ich auf eine Rehamaßnahme und kämpfte mich durch den Tag.
Die eigentliche Herausforderung bestand darin die ganzen Blicke zu ertragen. Meine Tochter aus dem Kindergarten abholen war eine reinste Tortur. Mitleidige Blicke, Getuschel hinter vorgehaltener Hand, Übergriffigkeit von anderen Eltern, die es sicher nur gut meinten, aber mir das Gefühl gaben mich nicht selber um mein Kind kümmern zu können. Ja und dann gab es die, die zu mir kamen und fragten: „Hatten Sie nen Schlaganfall?“ Meine Antwort dann war: „Nee nur ein Gehirntumor!“ Ja ich geb zu, etwas makaber aber damit war das Thema dann durch.
Die Reha wurde dann schließlich genehmigt und ich war vier Wochen in Bad Feilnbach, ca. 45 Autominuten weit weg von zu Hause und meine Familie konnte mich oft besuchen. In der Reha machte ich nur wenige Fortschritte… Aber ganz unnütz war sie natürlich nicht.
Erleichtert, endlich wieder zu Hause zu sein, stellte sich ein neues Problem dar. Die OP-Naht am ABI entzündete sich und ich musste wieder nach Erfurt. Die Stelle am Kopf wurde operativ saniert und es schien alles ruhig, vorerst, das sollte nicht so bleiben… 2019 wurde ich siebenmal am Kopf operiert und theoretisch hätte ich in Erfurt meinen Zweitwohnsitz anmelden können. Ohne den ansteckenden Optimismus von Prof. Rosahl, der mir immer und immer wieder Hoffnung gemacht hat, dass wir das schaffen, wäre ich schon längst eingeknickt.
Bei einem der vielen Krankenhausaufenthalte lernte ich Sarah H. (NF2 Betroffene) kennen. Zusammen haben wir drei Wochen tagtäglich Unmengen an (schrecklichen) Kaffee getrunken und ich konnte in der Zeit soooooviele Gebärden lernen. Zum Glück war meine „Lehrerin“ sehr geduldig mit mir.
Wie geht’s mir heute: Mir geht’s wirklich gut, die Schmerzen im Bein kommen meist abends, der Gesichtsnerv hat sich sehr gut erholt, und mein Gesicht ist wieder symetrischer, die OP-Naht am ABI ist intakt, das ABI ist aber noch nicht wieder aktiviert. Dieser Punkt auf der To-Do List wird als nächstes angegriffen. Mein Fußheber macht immer noch Probleme, aber ich habe gelernt, damit zu leben. Momentan leistet mein Hörgerät im linken Ohr Schwerstarbeitet, und ich liebe dieses kleine Teil. Mit dem bisschen Restgehör, was ich auf diesem Ohr habe, würde ich ohne Hörgerät alt aussehen. An den Gedanken irgendwann gar nichts mehr zu hören kann und will ich mich nicht gewöhnen.
Was die NF2 noch mit mir vorhat? Keine Ahnung! Will ich es wissen? Nicht wirklich! Solange es geht, genieße ich mein neues Leben… Wer weiß, wann sich das wieder ändert.
Zum Schluss noch: Ich danke Anne und Sarah, die immer ein offenes Ohr für mich hatten und mich bestärkt haben, wenn ich mal wieder zu negativ war.
Ich danke meiner Familie und Schwiegereltern, die mich so sehr unterstützt haben in der schwierigen Zeit, sei es die Betreuung meiner Tochter gewesen oder die stundenlangen Autofahrten nur um 1 bis 2 Stunden bei mir im KH zu sein. Und ich danke meinem Henrik, denn er hat hier alles gewuppt, mir täglich Trost gespendet und ganz viel Kraft geschickt. Meine allergrößte Motivation war bzw. ist Vicky. Für sie stehe ich auf, wenn ich eigentlich lieber liegen bleiben würde, für sie lache ich, obwohl ich eigentlich lieber weinen würde, denn sie ist meine tägliche Motivation nicht aufzugeben.